Der islamische Religionsunterricht im Fokus: Stille Helden im Schulalltag

Emin Yilanci

Der islamische Religionsunterricht. Kulturelle Heterogenität in der Schülerschaft an deutschen Schulen gehört längst zum Alltag. Jetzt wird es Zeit, dass deutsche Lehrerzimmer diverser werden.
Muslimische Lehrkräfte können hierbei einen gewaltigen Beitrag leisten: Ein
Plädoyer für die Berufswahl der Lehrerin und des Lehrers aus muslimischer
Perspektive

von Emin Yılancı

Islamischer Religionsunterricht

Es ist kurz vor 8 Uhr. Wir sind auf dem Flur einer Schule in NRW. Tuba Hısım ist Lehrerin und auf
dem Weg zum Unterricht. Unterwegs zum Klassenzimmer sieht sie ihre Schülerinnen und
Schüler aus dem Islamischen Religionsunterricht im Flur: „Assalamu alaikum Frau Hısım“. „Wa
alaikumussalam“,
erwidert sie und geht weiter Richtung Klassenzimmer. Dort wartet schon ihr
Türkisch-Kurs auf sie: angehende Erzieherinnen und Erzieher, die während ihrer dreijährigen
Ausbildung Türkisch-Unterricht haben. „Günaydın arkadaşlar“ begrüßt sie sie. „Günaydın Tuba
Hanım“
hallt es zurück. In der Pause trifft sie letzte Absprachen für die bevorstehenden
Zeugniskonferenzen: „Tuba, schickst du mir die Notenänderung in Reli, Türkisch und Spanisch?“,
fragt ein Kollege zwischen Tür und Angel. Mit einem kurzen Nicken bestätigt sie und nimmt einen
letzten Schluck aus ihrem Kaffee, bevor es weitergeht mit dem Unterricht. Schon wieder ist die
Pause zu schnell um. Aber ihre nächsten Schülerinnen und Schüler warten schon auf sie.
„Buenas tardes amigos“ begrüßt sie ihre Klasse, die wöchentlich während ihrer drei Abiturjahre
Spanisch hat. Heute steht der Vokabeltest an. Die süße Anspannung zu Beginn des Unterrichts
liegt förmlich in der Luft. „Schreiben wir heute den Test Seňora Hısım“?Sí, aber am Ende der
Stunde“,
antwortet sie mit einem Schmunzeln und beginnt den Unterricht.


Dieses Szenario spiegelt den Alltag muslimischer Lehrkräfte gut wider: Sehr gut
professionalisierte Pädagoginnen und Pädagogen mit einem guten Draht zu der Schülerschaft.
Im Lehrerzimmer ist sie Tuba, die verlässliche Kollegin. Sie ist mal Frau Hısım, die Spanisch-Lehrerin, mal die Türkisch-Lehrerin, mal die Lehrerin für den Islamunterricht – je nachdem, wem
sie auf dem Flur oder in den Klassenräumen begegnet. Dieses Rein- und Rausschlüpfen in
verschiedene Kulturen und Sprachen ist ein besonderes Merkmal muslimischer Lehrkräfte, das
ihre besondere Stellung innerhalb des Kollegiums als auch gegenüber den Eltern und
Schülerinnen und Schülern hervorhebt.


Vor allem der erst seit wenigen Jahren eingeführte Islamische Religionsunterricht (IRU) spielt im
Kontext Schule eine wichtige Rolle. Seit 2012 können Schülerinnen und Schüler muslimischen
Glaubens in NRW dieses Schulfach besuchen. An der Universität Münster können Studierende
Islamische Theologie als Lehramt belegen, um später an der Schule IRU zu unterrichten. Weil es
aber bisher nicht genug Absolventinnen und Absolventen gibt, der Bedarf aber enorm ist,
können bestehende muslimische Lehrkräfte durch den Besitz einer Zusatzqualifikation und der
idschaza (Lehrerlaubnis) Islamische Religion unterrichten. Die idschaza vergibt in NRW die
Kommission für den Islamischen Religionsunterricht, in der alle relevanten muslimischen
Dachverbände und einige staatliche Akteure vertreten sind. Ein muslimischer Lehrer mit der
Fächerkombination Deutsch und Spanisch hätte beispielsweise somit die Möglichkeit,
Islamische Religion zu unterrichten. Aus der Feder einer solchen Lehrkraft lesen Sie diesen
Artikel…

Muslimische Lehrkräfte als wichtige Ressource für die Schule – der islamische Religionsunterricht

Muslimische Lehrkräfte sind meiner Meinung nach eine wichtige Ressource innerhalb des
Kollegiums, weil sie zwischen den Kulturen und Religionen (manchmal wider Willen) vermitteln.
Alle Akteure im Kontext Schule profitieren von einer muslimischen Lehrerin bzw. einem
muslimischen Lehrer: Schulleitung, Lehrende, Eltern und Schülerschaft. Deshalb ist es umso
wichtiger, dass man muslimische Jugendliche für diesen Beruf gewinnt und sie dafür begeistert.
Auch hier können bereits unterrichtende muslimische Lehrkräfte Wegweiser sein.
Wenn dann noch der Islamische Religionsunterricht etabliert wird, dann finden in der Schule
Begegnungen auf Augenhöhe statt. In Sachen Islamischer Religionsunterricht sind
überraschenderweise viele muslimische Eltern zurückhaltend – aus verschiedenen Gründen.
Ein Grund ist zweifellos, dass viele muslimische Eltern bei diesem jungen Schulfach die Inhalte
und vor allem die Lehrpersonen nicht kennen bzw. sich nicht damit auseinandersetzen (wollen).
Dieses innewohnende Misstrauen von einem Teil der muslimischen Elternschaft kann ebenfalls
durch muslimisches Lehrpersonal vor Ort abgebaut werden. Deshalb: Ein klares Plädoyer
dafür, dass muslimische Jugendliche den Lehrerinnen- und Lehrerberuf ergreifen und
gleichzeitig die Einführung des Islamischen Religionsunterrichts vorantreiben.

Eigene Religion ohne Stigmata im Unterricht behandeln – der islamische Religionsunterricht

Muslimische Schülerinnen und Schüler werden schon früh mit Vorurteilen konfrontiert. Oft
haben die Absender keine bösen Absichten, meinen es nur gut, wenn sie den Kleidungsstil, die
Festtage oder Rituale ihrer muslimischen Schülerschaft bewerten und kommentieren. Deshalb
ist vermutlich der Islamische Religionsunterricht das einzige Schulfach, in dem Fatima und
Muhammad als Muslime Wertschätzung erfahren. Das beginnt schon damit, dass die Namen
richtig ausgesprochen werden oder zum Freitag gratuliert wird (Dschumua Mubarak). Vor allem
im Ramadan ist es ein verbindendes Element, wenn die eigene Lehrerin oder der eigene Lehrer
fastet und Fragen stellt wie: „Wie läuft der Ramadan?“ „Nutzt du die gesegneten Nächte für die
Gottesdienste?“
„Wie weit bist du in der Lektüre des Quran?“ Demgegenüber stehen die oft mit
Stigmata behafteten Fragen der nichtmuslimischen Außenwelt.

Natürliche Lernumgebung der Geschlechter – der islamische Religionsunterricht

Oft machen wir Muslime es uns aber auch selbst schwer. Vor allem wenn es um die
Zusammenarbeit der Geschlechter geht. In Moscheen gibt es No-Go-Areas für Frauen und NoGo-Areas für Männer und vermeintlich jeder Blickkontakt zwischen den Geschlechtern
innerhalb der Moschee wird als Verfehlung interpretiert. Seltsamerweise ist nach dem
Moscheebesuch dann wieder alles „normal“ und beim Einkaufen, in der Uni, in der Schule, im
Bus oder an der Ampel kann man das andere Geschlecht wieder anblicken und sogar grüßen.
Natürlich sollen beide Geschlechter in den Moscheen ihre Rückzugsorte haben und sich
empowern. Wenn man sich die traditionellen Moscheen angeguckt, wie in Istanbul, Jerusalem
und sogar Mekka und Medina, fragt man sich aber unweigerlich, warum wir Muslime in
Westeuropa eine so rigorose bauliche Trennung praktizieren und warum wir ein so sehr
angespanntes Verhältnis der Geschlechter innerhalb der Moscheen vorleben. Das Problem
dabei ist: Unser Nachwuchs merkt, dass in der Moschee und außerhalb der Moschee ein nicht
aufrichtiger Umgang herrscht. Im Klartext bedeutet das: Wenn wir Muslime kein gesundes und
gerne auch gesund-distanziertes Verhältnis zwischen den Geschlechtern vorleben, dann tun es
andere (Schule, Sportverein, Medien etc.). Deshalb bietet der Islamische Religionsunterricht
hier eine einzigartige Möglichkeit, nämlich dass muslimische Jugendliche gemeinsam und
respektvoll im selben Raum demselben Unterricht folgen. So lernen sie eine natürliche geschlechtergemischte Lernumgebung kennen, in der man weiß, wie man sich als Junge und als
Mädchen respektvoll und wertschätzend gegenüber dem anderen Geschlecht verhält – egal ob
innerhalb der Lerngruppe oder gegenüber der Lehrerin oder dem Lehrer.

Rituale als Bindeglied zwischen islamischer Tradition und Schulalltag – der islamische Religionsunterricht

Islamischer Religionsunterricht

Rituale zu Beginn und am Ende des Unterrichts spielen vor allem in der Grundschulpädagogik
eine elementare Rolle. Warum nutzen wir Lehrkräfte nicht diese besonderen Momente im
Islamischen Religionsunterricht, um Elemente unserer wertvollen islamischen Tradition zu
vermitteln? Man kann beispielsweise einen Schüler bitten, am Anfang einer Unterrichtsstunde
seinen Lieblingsvers aus dem Quran mitzuteilen. Eine kurze Begründung, warum er sich gerade
diesen Vers ausgesucht hat, würde das ganze nochmal auf eine reflektierte Ebene bringen.
Wenn dieser Schüler seinen Lieblingsvers dann noch im arabischen Original rezitieren würde –
ja, dann hätte man die ersten 5 Minuten seines Unterrichts in Sachen Beziehungsarbeit und
Safe-Space-Gefühl erfolgreich angelegt. Bevor die Schülerinnen und Schüler sich mit dem
Salam verabschieden und den Klassenraum verlassen, könnte einer von ihnen – der
Überlieferung nach Taberani folgend – die Surah al-Asr rezitieren (plus die deutsche
Übersetzung). Das sind nur zwei Überlegungen, um dem Islamischen Religionsunterricht an
Schulen das besondere Etwas zu verleihen. Dies können eben nur muslimische Lehrpersonen
leisten, weswegen der Bedarf an ihnen noch einmal deutlich wird.

Vertrauen schaffen durch Vorbilder – der islamische Religionsunterricht

Sie merken es schon: Wenn die muslimische Lehrerin oder der muslimische Lehrer durch einen
pädagogisch abwechslungsreichen und einen inhaltlich anspruchsvollen Unterricht die
Lerngruppe überzeugt, gewinnt sie oder er an Sympathie. Diese Sympathie mündet oft dahin,
dass muslimische Schülerinnen und Schüler auf die Frage nach dem Berufswunsch antworten:
„Lehrerin“ bzw. „Lehrer“. Die Kombination aus geballtem Fachwissen und Nähe zu der
Schülerschaft birgt eine große Anziehungskraft auf junge Menschen – egal welcher
Religionszugehörigkeit. Warum sollte das meine muslimische Kollegin und mein muslimischer
Kollege nicht nutzen wollen? Eine bessere Werbung für den Beruf der Lehrerin und des Lehrers
für muslimische Jugendliche kann es kaum geben.

Moscheen als Begegnungsstätte und spirituelle Rückzugsorte wertschätzen – der islamische Religionsunterricht

Im Rahmen des Islamischen Religionsunterrichts bieten Moscheen eine tolle Möglichkeit einer
Exkursion. Wenn ich mir beispielsweise die Zentralmoschee in Köln vorstelle und sie als Ziel und
Erkundungsort für meine Lerngruppe nutze, dann haben wir drei Elemente miteinander
verknüpft: Ästhetik, Spiritualität und Begegnungsstätte. Wenn diese drei Schlagworte mit einer
Moschee im Allgemeinen assoziiert werden sollen, dann heißt es für uns muslimische
Lehrkräfte: Antrag stellen und mit (muslimischen und nichtmuslimischen) Schülerinnen und
Schülern Moscheen besuchen!
Eine kleine Anekdote am Rande: Bei einer Exkursion einer Zentralmoschee in Aachen kam eine
Schülerin zu mir und bedankte sich für den Schulausflug. Sie sagte, dass sie den Mihrab, die
Kursi und die Minber das erste Mal aus nächster Nähe gesehen hätte und sogar anfassen
konnte, obwohl sie schon mehrfach in dieser Moschee war. Als ich sie fragte, warum das so sei,
sagte sie: „Als Frau darf man ja nicht nach vorne, das ist ja verboten.“ Als Muslim sind das für
mich Momente, in denen ich nicht weiß, ob ich lachen oder weinen soll. Diese Art der gesunden
Aufklärung zu religiösen Überzeugungen und Vorstellungen sind meinen muslimischen
Kolleginnen und Kollegen vorbehalten. Hier entsteht eine starke Beziehung mit den
Jugendlichen, die dann dazu münden können, dass eben genau diese sich für den Lehrerinnen und Lehrerberuf entscheiden.

Der pädagogische Blick auf den Quran – der islamische Religionsunterricht

Der Vorteil einer muslimischen Lehrkraft im Islamischen Religionsunterricht liegt darin, dass sie
immer mindestens ein weiteres Fach hat, das sie unterrichtet. An deutschen Universitäten
ausgebildete Lehrkräfte müssen zwei Fächer studieren, um an Schulen unterrichten zu dürfen.
Diese Zwei-Fächer-Pflicht ist eine Gabe, ja vielmehr noch, eine einzigartige Gelegenheit für den
muslimischen Lehrenden den Quran aus der Sicht des Biologie-Lehrenden zu erforschen, der
die einzelnen menschlichen Entwicklungsstufen ganz anders wahrnimmt. Oder aus der Sicht
des Deutsch-Lehrenden, der die rhetorischen Stilmittel bewundert. Oder aus der Sicht des
Politik-Lehrenden, wenn es im Quran um kollektives Handeln und individuelle
Selbstbestimmung geht. Und und und. Wenn muslimische Lehrpersonen ihre Profession gezielt
in die Quran-Lektüre einbauen, nehmen sie eine sehr edle Stellung ein zwischen Diesseits und
Jenseits. Wenn sie dabei noch junge Menschen für ihren Beruf begeistern können, dann kann
man, glaube ich, mit Fug und Recht behaupten: Der Beruf der Lehrerin und des Lehrers ist eine
Berufung!

Sich selbst weiterbilden und vital halten – der islamische Religionsunterricht

Natürlich ist das ein sehr idealisiertes Bild des Islamischen Religionsunterrichts und der
muslimischen Lehrkraft. Jede Lehrerin und jeder Lehrer weiß, dass der Schulalltag eine große
Belastung sein kann mit Korrekturaufwand, Konferenzen, dem Vor- und Nachbereiten von
Unterricht, Elternarbeit … Ja, unterrichten muss man nebenbei auch noch. Wer aber seine
hehren Ideale und die dynamische jugendliche Energie seiner Schülerinnen und Schüler in den
Fokus stellt, der wird ein sehr erfüllendes (Berufs- und Privat-) Leben haben. Das breite Fort- und
Weiterbildungsangebot ist auch eine ideale Möglichkeit, sich mental und kognitiv fit zu halten.
Wer als muslimische Lehrerin oder muslimischer Lehrer diese Chancen nutzt, um
beispielsweise Grundlagen der arabischen Sprache zu lernen, sich mit der älteren und jüngeren
Rassismusgeschichte in Deutschland und auf der ganzen Welt zu beschäftigen oder die anderen
monotheistischen Religionen als ahl-ul-kitab zu entdecken, wird ein großes Angebot an
Workshops, Seminaren und Vorträgen vorfinden. So bleibt man als Lehrerin und Lehrer selber
immer Schülerin bzw. Schüler, mehrt sein Wissen und entwickelt sich charakterlich weiter –
man wächst also mit den zu unterrichtenden Jugendlichen mit, bleibt jung und immer auf dem
Laufenden. Nebenbei hat man 12 Wochen unterrichtsfreie Zeit – im Volksmund Ferien genannt.
Gibt es bei so vielen Vorzügen einen anderen Traumjob als den der Lehrerin und des Lehrers?

Islamischer Religionsunterricht

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Mehr zu Emin Yalinci und seinem Alltag als Lehrer – hier: https://www.youtube.com/watch?v=wZFUlVyWkQ8

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