Der vorliegende Artikel entstammt der Feder des ehrenwerten Herrn Dr. Ali Özgür Özdil. Vielen Dank für Ihren Beitrag.
Der Ramadan als Schule des Lebens
Der Ramadan selbst ist eine Lebensschule. Eines der Ziele des Fastens ist den Menschen zu einem besseren Menschen zu erziehen. Pädagogik ist wiederum die Wissenschaft, die sich mit Erziehung und Bildung befasst.
Wissen über das Fasten: Grundlage für das richtige Fasten
Für das richtige Fasten ist das Wissen über das Fasten essenziell:
- Wer muss fasten und wer ist davon ausgenommen?
- Was, wenn man nicht fasten kann?
- Was bricht das Fasten und was nicht?
- Was, wenn man aus Versehen etwas gegessen oder getrunken hat? Usw.
Praktische Umsetzung: Die Praxis des Fastens
Zusätzlich zum Wissen über den Ramadan und das Fasten, gehört also die Praxis. Laut einer authentischen Überlieferung bei Abu Dawud sind Kinder vor der Pubertät von religiösen Pflichten befreit.
Gemäß der Empfehlung mehrerer muslimischer Gelehrter sollen Eltern ihren Kindern das Fasten mit ca. 10 Jahren beibringen.
Individualität in der Erziehung
Natürlich ist in der Erziehung auch Individualität sehr wichtig, da Kinder sich körperlich und geistig unterschiedlich entwickeln. In der ersten Woche könnten die Kinder lernen einige Stunden zu fasten. In der zweiten Woche bis mittags zu fasten.
Beim ersten Mal müssen sie nicht komplett durchfasten, damit sie das Fasten oder allgemein religiöse Pflichten nicht mit Last bzw. Erschwernis in Verbindung bringen, wie es auch zum Fasten in Sure 2, Vers 185 heißt:
„…Allah will für euch Erleichterung; Er will für euch nicht Erschwernis…“
Es heißt auch im Koran:
„Allah erlegt niemandem mehr auf, als er zu leisten vermag.“ (Sure 2, Vers 286)
Dieser Grundsatz bezieht sich auf alle Pflichten im Islam. Keine Pflicht ist unmöglich, zumal alle Pflichten an Bedingungen gebunden sind. Erfüllen Kinder alle Bedingungen zu Fasten, das heißt sie sind geistig und körperlich reif (in der Pubertät) wie gesund, dann müssen sie fasten, um eine der wichtigsten Säulen des Islam zu erfüllen.
Der ganzheitliche Charakter des Fastens
Ein wichtiger Aspekt beim Fasten im Ramadan ist sein familiärer, gesellschaftlicher und gemeinschaftlicher Charakter. Neben dem ersten und wichtigsten Lernort Familie, sind im gesellschaftlichen Kontext auch die Schule und die Moschee wichtig.
Im schulischen Religionsunterricht kann man das, was man in der Familie – vor allem durch Nachahmung gelernt hat – wissenschaftlich reflektieren.
Im Moscheeunterricht kann man das Fasten noch einmal in einem größeren Kontext miterleben.
Alle drei Lernorte sollten sich sinnvoll ergänzen. So bekommt das Lernen und Erleben des Fastens einen ganzheitlichen Charakter.
Fasten als verbindendes Erlebnis
Kinder und Schüler/innen als Individuen erleben den Ramadan als etwas, was sie weltweit mit ihren Glaubensgeschwistern verbindet. Dadurch bekommt der Ramadan für jedes Individuum über die Familie, die Gemeinde vor Ort, die Gesellschaft bis hin zur Gemeinschaft aller Muslime weltweit einen unermesslichen Wert, der ihn zu einem einmaligen Erlebnis macht, das man kaum in Worte fassen kann.
Pädagogische Tipps für das Fasten mit Kindern
Alle Beispiele, wie man Kindern das Fasten pädagogisch beibringt, also wie man ihnen alle wichtigen Aspekte vormacht, erklärt und ihre Fragen beantwortet, werden dann zu Mosaiksteinen, die erst dann zu einem ganzheitlichen Bild werden, wenn Kinder ihre eigenen Erfahrungen damit machen.
Ein gelungener Fastentag
Praktisch könnte ein gelungener Fastentag so aussehen, dass man sich schon Wochen vorher auf den Ramadan vorbereitet hat, indem man darüber redet und anfängt den Monat zu organisieren, und sei es erst einmal mit dem Einkauf von Datteln.
Man sollte bereits vor dem ersten Fastentag über die wichtigsten Dinge reden:
- wann wird man aufstehen
- was wird man alles essen
- was für das Fasten von Vorteil ist
- bis wann wird man fasten und
- worauf ist alles zu achten, damit man nicht versehentlich sein Fasten bricht.
Wenn es dann so weit ist, steht man gemeinsam zum Sahur auf (was übrigens Sunna ist).
Da es etwas gemeinschaftliches ist, sollten sich alle bemühen gemeinsam aufzustehen und den Tisch gemeinsam decken (oft sind es die Frauen, die alles vorbereiten und dann alle zu Tisch rufen). Beim Essen kann man über die weiteren Schritte reden.
Schließlich folgt anschließend das gemeinsame Morgengebet. In diesem Kontext kann man den Kindern erklären, dass man die Absicht zu Fasten fasst. Man kann ihnen auch erzählen, falls sie das Gefühl haben, dass sie es nicht schaffen, wobei das eher selten vorkommt, dass sie das Fasten in der Not unterbrechen dürfen (wie z.B. im Falle einer akuten Erkrankung). Man muss sie aber ermutigen, indem man ihnen deutlich macht, dass man an sie glaubt. Einerseits nimmt man ihnen die Angst und andererseits macht man ihnen Mut.
Sollte man sie dabei erwischen, dass sie heimlich essen oder trinken, ist empfehlenswert erst einmal darüber hinwegzusehen. Also nicht gleich ein Drama daraus machen, weil Kinder durch Probieren lernen und es zu ihrer Natur gehört Grenzen (auch ihre eigenen Grenzen) zu testen. Sollten sie eine Etappe gut mitgemacht haben, sollten sie gelobt und weiter ermutigt werden, mit Worten wie: „Ich wusste, dass du es schaffen würdest.“
Es mag auch sein, dass Kinder Fehler machen oder zu bestimmten Themen immer dieselben Fragen stellen. Wie allgemein in der Erziehung, ist auch hier Geduld der beste Ratgeber. Manches braucht seine Zeit und jedes Kind ist individuell.
Inzwischen ist das muslimische Fasten auch in der deutschen Gesellschaft angekommen, so dass öffentliche Grußworte von Seiten der Politik und der Kirchen zur Normalität wurden. Andererseits gibt es auch alle Jahre wieder Kritik, z.B. von Lehrer/innen, die vor allem kein Verständnis dafür haben, wenn Kinder fasten.
Dabei sollten sie wissen, dass Kinder Zeit zum Lernen benötigen und – auch wenn es für sie erst einmal keine Pflicht ist zu fasten – gerne die Erwachsenen nachahmen und zu den Großen dazugehören möchten. Umgekehrt möchten muslimische Eltern ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und ihren Kindern langsam das Fasten beibringen.
Die Fastenden sollen nicht nur körperliche Enthaltsamkeit üben, sondern auch auf ihre Sinne achten und somit auch darauf achten was sie tun, hören, sehen oder sagen. Das wertvollste Fasten ist jedoch ein Fasten, wo das Herz und somit die Gefühle und der Verstand und somit die Gedanken auf Gott ausgerichtet sind.
Gottesfurcht als Ziel der erzieherischen Maßnahmen
Alle erzieherischen Maßnahmen müssen auf Taqwa (im Folgenden als „Gottesfurcht“ übersetzt) ausgerichtet sein, denn im Koran heißt es zum Fasten in Sure 2, Vers 183:
„O die ihr glaubt, vorgeschrieben ist euch das Fasten, so wie es denjenigen vor euch vorgeschrieben war, auf dass ihr gottesfürchtig werden möget“
und in Vers 187:
„…So macht Allah den Menschen Seine Zeichen klar, auf dass sie gottesfürchtig werden mögen.“
Vielen Dank, lieber Ali für die Exzellenz.